Das Gesamtkunstwerk von Hans Jürgen Syberberg

Photomontage, 1982, Reproduktion des Modells der "Black Mary" aus Hitler -ein Film aus Deutschland (1977), mit montierter Photographie des Geburtshauses von Hans Jürgen Syberberg vor Pommern.

Gesamtkunstwerk, «L’art total», totaler Krieg, und schon haben wir die Phobie unseres Jahrhundertendes vor diesem Anspruch, nach Hitler und in Deutschland speziell, unsere Ängste aus Deutschland allen anderen aufdrängend.

Gesamt-Kunst-Werk, das bedeutet das Machen, dies alles von der Puppe bis zur Sternenprojektion — im Morgenmantel Richard Wagners — als Kindervision des Märchenzeitalters unserer Mythen, das bedeutet Autor sein, Erfinder der Bilder und Tonmontagen und was man so Ausstattung nennt, Auftraggeber, Geldbesorger, Produzent und Verleiher aller dieser so entstandenen Töne, Bilder, Dinge und Figurenbewegungen. Und das heißt die Wirkungsorganisation in Buch, Platte, Video und Großprojektion von Opernhäusern der Welt bis in die Kino-Höhlen unserer letzten Kinos, gegen den Verdacht des Konsums zu retten als Musik-, Literatur-, Theater Kunst-, Film-, Sprachenuniversum vor seinem Untergang und das ist, seine Ambivalenz zu halten, die zwischen den Teilen, und das Behaupten der Dinge, das alles erst garantiert durch den projizierten Schein des Lichts in der Dunkelheit, und wenn es gelingt, wird es etwas von der Idee alter Utopien, Paradiese und der Systematik subjektiver Objektivität Vortäuschen, wenigstens solange Realität sein, wie es scheint und sich materialisiert, endlich wahr je mehr die Intensität gelang für die Zeit seiner projizierten oder dokumentierten Existenz, als kosmische Spiegelung des Ganzen, das nur in Teilen faßbar wurde, in jener Spannung zwischen ihnen, und wo jene Tiefe nötig ist, die sich einstellen muß, die uns verdächtige. Als Kategorie des Wahren und Richtigen ist jene Tiefe, diese alte und schöne und deshalb verkommene Forderung nötig, oft mißbraucht und deshalb verpönt, weil undemokratisch, in nicht horizontaler sondern vertikaler Dimension, schon von Hitler verraten und deshalb uns so schwierig, aber doch so leicht zu definieren von großem Geist und intellektueller Analyse, einfach durch die Struktur ihrer Fülle und die Schichtenanzahl des Ganzen zu prüfen, und zu deuten als Zeichen unserer Unfähigkeit, sie zu wollen oder noch über sie verfügen zu können. Das alles verdichtet sich nun in einer Kugel als äußerste Vision in der kleinsten Dimension unserer Existenz, leicht zu handhaben, wie schon einmal in Citizen Kane gefunden, als Spielzeug unserer Vergangenheit, und hier im Karl-May-Film als Meditation des Alters zum Rückblick auf die Kindheit noch nicht gelungen, aber dann im Hitler-Film verwandelt mit dem Film-Studio Edisons, des ersten seiner Art — Black Marry genannt — in der Mitte, als Zentrum unserer Phantasie und noch einmal enthüllt am Ende des PARSIFAL zum Gralsrequisit werdend: diese Kugel mit dem Festspielhaus Bayreuths inmitten der vereisten Hieronymus Bosch-Landschaft am Ende unserer Kultur, aus dem Labyrinth-Baum gewachsen, mit dem Anspruch nicht nur Eigenes und Richard Wagner sondern ganze Epochen und Jahrhunderte hier zusammenzubringen in einem Bild und seinen lange vorbereiteten Assoziationen von Tönen, Bildern und Personen, wie Meta-Phantasien, worauf die Kamera wegschwenkt auf den Kopf darüber einer Frau, deren sibyllinischer Blick sich langsam schließt, wie Vor­hänge eines Welttheaters, und nun?

Man kann das Ganze nur in Teilen darstellen. Das Ganze aber ist die Wahrheit, darum diese tobsüchtige Sehnsucht nach dem Ganzen und diese Teilung gern der Figuren in Stimmen und Körper, in die Schichten und Strukturen von Musik und Bildern, wie die Regie erst in ihrer Ergänzung mit dem Dargestellten und vielteilig Gefertigten zusam­men verschmelzen muß und die Wahrheit des Ganzen immer nur und wieder und leidend in Annäherungen aus wahnsinniger Lust zu versuchen ist.

Bei den Dreharbeiten zu Hitler — ein Film aus Deutschland (1977), mit der Puppe Ludwigs II.

In: Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Zürich, 1983. S. 434-436.